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Christus in der Kelter

Ausschnitt aus dem Passionsfenster des Alten Chores in Cochem
Datum:
22. Juli 2024
Von:
Petra Lambertz

Christus in der Kelter und der Wein in der Bibel

Das Ediger Steinrelief und die Cochemer Kirchenfenster

Insbesondere der Weinanbau prägt die Kulturlandschaft der Mosel und ist seit Jahrhunderten ein wichtiger Teil des Wirtschaftslebens. Der Wein ist bereits in der Bibel das wichtigste Getränk, denn er wird darin an 176 Stellen genannt, das Wort "Weinberg" erscheint 100 Mal. Im alten Testament stehen in der Lutherbibel bei Jesus Sirach 31,25-31 die besonders schönen Worte "Wie Lebenswasser ist der Wein für den Menschen, wenn er ihn mäßig trinkt. Und was ist das Leben ohne Wein? Denn er ist geschaffen, dass er die Menschen fröhlich machen soll. Der Wein, zur rechten Zeit und im rechten Maß getrunken, erfreut Herz und Seele." An gleicher Stelle erfolgt die Mahnung zum Maßhalten: "Sei kein Held beim Weinsaufen ... wenn man zu viel davon trinkt, bringt er Herzeleid, weil man sich gegenseitig reizt und miteinander streitet. Dann bringt er Kopfweh, Hohn und Schimpf." Noah ist nach der Sintflut der erste Mensch, der Wein anbaut. Als er jedoch betrunken und peinlich entblößt in seinem Zelt liegt, wird er von seinem jüngsten Sohn deswegen verspottet. Die beiden älteren Söhne decken daraufhin ihren Vater zu. (Gen 9,20-23) Im neuen Testament verwandelt Jesus auf der Hochzeit zu Kana Wasser in den besten Wein, den es auf der Feier zu trinken gibt. (Joh 2,1-11) Zu seinen bekannten "Ich-bin-Worten" gehört: "Ich bin der wahre Weinstock und mein Vater ist der Weinbauer." (Joh 15,1) und "Ich bin der Weinstock, und ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt reiche Frucht. Denn ohne mich könnt ihr nichts vollbringen." (Joh 15,5). Von zentraler Bedeutung sind Brot und Wein beim letzten Abendmahl. Zuerst verteilt Jesus das gebrochene Brot an seine Jünger. "Dann nahm er den Becher, sprach darüber das Dankgebet, gab ihn den Jüngern und sagte: Trinkt alle daraus; das ist mein Blut, das für alle Menschen vergossen wird zur Vergebung ihrer Schuld. Mit ihm wird der Bund besiegelt, den Gott jetzt mit den Menschen schließt." (Mt 26, 27-28). In der Heiligen Messe der katholischen Kirche geschieht die Wandlung von Hostie und Wein in Leib und Blut Christi. Das evangelische Abendmahl pflegt die Erinnerung an das damalige Ereignis.

Der Vorgang des Kelterns, abgeleitet vom lateinischen calcare, also mit Füßen treten, war bis zur Erfindung der Baumkelter in römischer Zeit, einer hölzernen Hebelpresse, ausschließlich anstrengende Beinarbeit. Auch dieses Bild wird in der Bibel verwendet, mit einen sehr ernsten Hintergrund, es symbolisiert das Kommen des Erlösers und seine Bestrafung der Völker beim jüngsten Gericht. Sein Gewand ist rot wie das eines Winzers, gefärbt vom Traubensaft. "Ich trete die Kelter allein und niemand hat mir dabei geholfen. Ich habe sie gekeltert in meinem Zorn und zertreten mit Grimm." (Jesaja 63,3). Auch die Offenbarung des Johannes greift diese Thematik noch einmal auf (Offb 19,15).

In der christlichen Ikonographie erscheinen ab dem 12. Jahrhundert kirchliche Wandgemälde oder Reliefs mit dem Motiv "Christus als Keltertreter" oder "Mystische Kelter". Christus im Gewand eines Winzers zertritt die Trauben. Dieser aktive Christus wandelt sich mit der Zeit zu einem passiv Leidenden. Der Kelterbalken wird zum Kreuzbalken. Christus selber wird in der Kelter ausgespresst, Blut strömt aus seinem Wunden. Er allein nimmt die Schuld der Welt auf sich und versöhnt alle Sünder mit Gott. Seine Kreuzigung und sein Tod gehören zur Heilsgeschichte Gottes mit den Menschen.

Diese symbolische Darstellung verstanden die vom Weinbau umgebenen Mosellaner besonders gut. Das um 1600 geschaffene, berühmte Steinrelief "Christus in der Kelter" ist weit über Ediger-Eller hinaus bekannt. Der nach links gebeugte Christus hat seine Hände, aus denen Blut fließt, seitlich ausgestreckt, auch aus den Füßen und der Seitenwunde strömt Blut. Die Spindelpresse drückt das Kreuz fest auf seinen Rücken. Über der Traubenpresse befindet sich das ovale Stifterwappen der Adelsfamilie Schönenburg-Nickenich, die Besitzungen in der Nähe hatte. Es wird dem bekannten Trierer Renaissance-Bildhauer Hans Ruprecht Hoffmann zugeschrieben.

Frühere Forschungen nahmen an, dass es das Vorderteil der steinernen Kanzel in der Pfarrkirche St. Hilarius in Eller war. Das linke Seitenteil mit dem Abbild des heiligen Hilarius ist erhalten geblieben, der verlorene rechte Teil könnte den heiligen Martin oder den heiligen Laurentius, den jeweiligen Schutzpatron von Eller oder Bremm, dargestellt haben. Neuere Erkenntnisse lassen nun den Schluss zu, dass es höchwahrscheinlich aus dem Kloster Stuben stammt. 1275 wurde dort eigens die Kreuzkapelle zur Aufbewahrung der Staurothek errichtet.¹ Das dreiseitige Relief mit dem frontalen Motiv "Christus in der Kelter" soll als von hinten betretbares Behältnis dieser Kostbarkeit genutzt worden sein. Nach der Säkularisation von Kloster Stuben im Jahr 1802 wurde es dann in die gleichnamige Kreuzkapelle auf den Ediger Berg gebracht. Auch diese Kapelle wurde als Wallfahrtsort genutzt. Der Aufstieg durch die Weinberge führt vorbei an dem drittältesten in Deutschland erhaltenen Kreuzweg.²

Das kostbare Originalrelief wurde in den 70er-Jahren aus Schutzgründen durch eine Nachbildung mit dem damaligen Farbauftrag ersetzt. Das 100 x 90 cm große Relief, wieder verbunden mit dem Seitenteil des heiligen Hilarius, steht heute in der Pfarrkirche St. Martin in Ediger in der nordöstlichen Seitenkapelle. Die staatliche und kirchliche Denkmalpflege stellten bei Untersuchungen fest, dass der Farbauftrag erst etwa 100 Jahre alt war und ließ ihn entfernen. Heute ist der weiße Kalkstein des Originals wieder zu sehen. Die Nachbildung in der Kreuzkapelle behielt ihre farbliche Fassung. Beide Varianten haben nun ihren festen Platz in der mosellanischen Kunstgeschichte.

Christus in der Kelter als Kirchenfenster

Das heutige innere Erscheinungsbild der katholischen Pfarrkirche in Cochem wurde maßgeblich gestaltet durch Pfarrer Werner Müller (28.9.1949 – 23.10.2020). In seiner 28-jährigen Wirkungszeit als Pastor der Pfarrei St. Martin von 1984 bis 2012 hat er neben einer Moderniersierung des Altarbereiches, dem Austausch der alten langen Bänke und der veralteten Lichttechnik vor allem die beiden Nachkriegsprovisorien in Angriff genommen. Die wertvolle Stumm-Orgel war beim Bombenangriff am 5. Januar 1945 zerstört worden. Beim Wiederaufbau der Kirche wurde eine kleine Orgel aus einem gebrauchten Spieltisch und unter anderem auch aus 84 Holzpfeifen und 190 Zinn- und Bleipfeifen der Dinse-Orgel des Kapuzinerklosters zusammengesetzt. Die Kapuzinerkirche wurde bis dahin als Ausweichkirche genutzt und hatte dazu die alte Burgorgel erhalten. Diese Orgel hatte der Wiedererbauer der Burg Louis Ravené bei der Fa. Gebrüder Dinse in Berlin in Auftag gegeben. Mit einem großen Spendenanteil der Gemeinde konnte die zusammengestückelte kleine Orgel im Jahr 1997 durch die große Oberlinger-Orgel ersetzt werden. 3175 Pfeifen und 45 Register sind verteilt auf die beiden Emporen rechts und links des Altarraumes. Zusätzlich gibt es als Besonderheit die Register "Cymbelstern","Glockenspiel", "Nachtigall" und das ausfahrbare "Riesling-Register", das bei besonderen Gelegenheiten auch wirklich eine Flasche Wein bereithält.

Das hallenartige Nordschiff, mit dem die alte gotische Kirche von 1932 bis 1933 erweitert worden war, wurde ebenfalls beim Angriff zerstört. Nur der gotische Chor und die gotische Südwand blieben stehen, natürlich ohne die historischen Fensterverglasung. Beim Neubau verzichtete der Kirchenarchitekt Dominikus Böhm bewusst auf eine farbliche Gestaltung des Innenraumes, diese sollte zu einem späteren Zeitpunkt durch noch zu schaffende Kirchenfenster erfolgen. Um seine Vorstellung zu verdeutlichen, stattete er die Beichtkapelle mit zwölf hochformatigen, schmalen Fenstern aus der Werkstatt der Glasfirma Derix in Taunusstein aus. Der Lichteinfall sollte durch kleine bunte Farbflächen die Innenwirkung des Raumes verstärken. Kleine Motive wiederholen sich: die Tafel mit den zehn Geboten, das Lamm Gottes, der Baum mit Schlange, Sterne und Kerzen. Alle weiteren Kirchenfenster bestanden bis 2009 aus weißem Milchglas. Die Vollendendung des Kirchenbaus durch farbliche Fenster war das zweite Großprojekt von Pastor Müller, das nur mit den Spenden vieler Unterstützer ermöglicht wurde. Die Fenster zeigen bekannte Motive aus der Bibel. Der bibeltheologische Entwurf stammt von Werner Müller. Für die Umsetzung der Idee konnte er die beiden in London lebenden Glaskünstler Graham Jones und Patrick Reyntiens gewinnen – eine kunsthistorisch seltene Zusammenarbeit. Die Derix Glasstudios aus Taunusstein übernahmen die technische Durchführung. Graham Jones, Jahrgang 1958, entwarf bereits Fenster für die Westminster Abbey in London und übernahm in Cochem die Farbgestaltung. Dabei liegen oftmals mehrere Farbschichten in den Fenstern übereinander, was besonders bei Sonnenschein eine besondere Wirkung und Tiefe ergibt. Patrick Reyntiens, Jahrgang 1925, führte mit seinem Sohn ein bekanntes Glasstudio in London. Er war für die Figürlichkeit zuständig und bemalte die von Derix vorbereiteten Farbfelder mit Schwarzlot, einem gelösten Eisenoxid, mit den im Fenster behandelten Bibelstellen. Bei der feierlichen Einweihung im Festhochamt zum heiligen Martin am 8. November 2009 erwähnte Reyntiens in seiner Ansprache auf Englisch, dass er als junger Soldat Bomben über Deutschland abwarf. Die Arbeit an den Fenstern war für ihn nun auch ein Werk des Friedens und der Versöhnung. Er starb am 25. Oktober 2021.

Die acht gotischen Fenster sind von rechts nach links zu "lesen", vom Eingang auf der Rathausseite hin zum gotischen Chor.

Urgeschichte: Adam und Eva, Kain und Abel, Noah und die  Arche, der Turmbau zu Babel

Grundthemen der Offenbarung in ersten und neuen Bund: Mose und die zehn Gebote, der siebenarmige Leuchter, Zusammenführung auf dem Berg Tabor: Jesus redet mit Elia und Mose, das himmlische Jerusalem

Die Patriarchen: Abraham, Isaak, Jakob, GOTT erscheint Mose im brennenden Dornbusch

Die Propheten: Jeremia und Jona

Weisheits-Literatur: die Psalmen und das Hohelied

Die sieben Ich-bin-Worte Jesu: z. B. Ich bin der wahre Weinstock.

Die Leidensgeschichte Jesu und die Begegnung mit dem Auferstandenen: Einzug in Jerusalem, das letzte Abendmahl, Ölberg. In diesem rot gehaltenen zentralen Fenster im alten Chor zeigt die Kreuzigungsszene Christus in der Kelter. Pastor Müller bezieht sich ausdrücklich auf das Original in der Pfarrkirche Ediger.

Gottes Geist wirkt in seiner Kirche: Martyria (Zeugnis geben), Liturgia (Gottesdienst), Diakonia (Caritas), Koinonia (Gemeinschaft).

Im Begleitheft zur Einweihung der Fenster schrieb Pastor Werner Müller: "Die acht gotischen Fenster illustrieren uns die Heilsgeschichte Gottes mit uns Menschen. Sein Wort und sein Wirken sind sein Liebesbrief an uns alle: ´Ich bin Jahwe, der Gott, der für dich da ist.` ER begleitet sein Volk durch die Geschichte der Jahrtausende. ER schenkt uns seinen Sohn Jesus, der für uns lebte, für uns starb und uns Leben in Fülle erfahren lässt – hier und in seiner Kirche und vor allem im Reich Gottes."

Die biblischen Kirchenfenster laden jeden Besucher ein, diese Botschaften und immer neue Details in ihnen zu entdecken.

Im Hauptschiff lassen die sogenannten Schmetterlingsfenster viel Tageslicht durch abstrakte, dynamisch gewischte Flächen in hellen Blau-, Lila- und Weiß-gelben Tönen in das Kircheninnere fallen.

Verfasserin: Petra Lambertz, Cochem

verwendete Literatur:
Bußmann, Willy: "Burgorgel" im Kapuzinerkloster. In: Kulturzentrum Kapuzinerkloster. Festschrift zur Eröffnung. Hrsg. Stadt Cochem 1998, S. 38-39.
Pastor Müller, Werner: Die neuen Kirchenfenster in der Pfarrkirche St. Martin. Begleitheft zur Einweihung im Festhochamt zum Martinstag am 8.11.2009. Hrsg. Katholische Pfarrgemeinde St. Martin Cochem 2009
Thomas, Alois: Die Darstellung Christi in der Kelter. Dissertation, Düsseldorf 1936, Nachdruck 1981.
Wackenroder, Ernst: Katholische Heiligkreuzkapelle auf dem Ediger Berg In: Die Kunstdenkmäler des Landkreises Cochem. Unveränderter Nachdruck der Ausgabe von 1959. Deutscher Kunstverlag München, Berlin 1984, S. 281-285.
Wolpert, Wolfgang: Die mögliche Funktion des in Ediger befindlichen Reliefs Christus in der Kelter. In: Kurtrierisches Jahrbuch 52, 2012, S. 195-201.
Wolpert, Wolfgang: 510 Jahre Kreuzkapelle in Ediger. In: Heimatjahrbuch Cochem-Zell 1999, S. 153-158, darin speziell zum Relief "Christus in der Kelter" S. 156-157.
Wolpert, Wolfgang: Fünfhundert Jahre Kreuzweg in Ediger a. d. Mosel. Inquisitor Heinrich Institoris als Initiator. In: Hexenglaube und Hexenprozesse im Raum Rhein-Mosel-Saar. Trier, 2. Aufl. 1996, S. 19-34.